Aus der Wahrnehmung des aktuellen Elektromobilitäts-Marktes geht hervor, dass sich der bisherige “Elektromobilitätskunde” durch spezielle Charakteristiken und eine ganz eigene Customer Journey auszeichnet. Mit diesem Artikel werden Hintergründe zu dieser These erläutert und Impulse für die Beantwortung der Frage, wie Energieversorger erfolgreich Angebote bei entsprechenden Interessenten platzieren können, geliefert.
Elektrofahrzeuge werden massentauglich
Die Elektromobilität hat ihre Nische verlassen und drängt langsam aber sicher auf den Massenmarkt. Inzwischen ziehen 17 % aller deutschen Autofahrer den Kauf eines Autos mit vollelektrischem Antrieb (BEV) in Betracht. Für weitere 20 % kommt die Anschaffung eines Hybrid-Fahrzeuges in Frage. Diese Nachfrage trifft auf ein stetig wachsendes Angebot an Modellen der großen Hersteller wie Toyota, VW, BMW, Daimler, Nissan oder der PSA Group. Allein diese werden bis 2021 ca. 50 Modelle mit vollelektrischem Antrieb auf den Markt gebracht haben. Zudem möchten diverse Start-Ups wie Nio, Byton, Uniti oder e.GO sich platzieren und setzen dabei auf unkonventionelle Designs sowie digitale Highlights im Fahrzeug.
Dass die Elektromobilität sich durchsetzen wird, liegt nicht nur am „Abgasskandal“ und Diesel-Fahrverboten in deutschen Städten, sondern auch an der zunehmenden ökonomischen Attraktivität bei der Anschaffung eines Elektrofahrzeugs. Anfang 2020 wird VW den ID.3 zum Preis eines Diesel-Golfs im deutschen Markt anbieten. Damit wird die Elektromobilität in Deutschland offiziell zur Sache der “breiten Masse” erklärt.
Die Generation‑E
Elektrofahrzeuge sprechen zwar zunehmend nicht mehr nur ökologisch bewusste und/oder technikaffine Personen (die “Early Mover”) an, die bisher erkennbare Zielgruppe ist dennoch eine Besondere — weil sich Elektromobilität eben nicht nur über das Fahrzeug definiert, sondern zusätzlich über Energie, Services und ergänzende Mobilitätsangebote (wie Carsharing, E‑Scooter, E‑Bikes, etc.). Es kristallisiert sich eine “Generation‑E” heraus, die ein bewusster Konsum sowie ein nachhaltig geprägter Lifestyle verbindet. Der typische Kunde in diesem Segment ist dabei verantwortungsbewusst in Umweltfragen, voll vernetzt, zukunftsorientiert und empfindet Fortbewegung nicht als das einfache “von A nach B kommen”. Elektromobilität endet nicht beim eigenen Auto, die Generation‑E ist offen für neue Energiethemen und ‑konzepte, die mit dem Elektrofahrzeug zusammengebracht werden können.
Durch ihre vielschichtigen Bedürfnisse unterscheidet sich die Kundengruppe fundamental von klassischen Kundensegmenten im Energiemarkt. Aus Energieversorger-Sicht hat die “Generation‑E” eine hohe Attraktivität, nicht zuletzt, weil sie durch die Ladung von Elektrofahrzeugen wie bspw. Elektroautos, E‑Rollern oder E‑Bikes für einen zunehmenden Stromabsatz durch neue Verbraucher in den Haushalten sorgen kann.
Herausforderungen für Energieversorger
Zu Beginn war der Einstieg in die Elektromobilität aus Energieversorger-Sicht häufig eine Marketingmaßnahme oder eine Reaktion auf den Wunsch des kommunalen Anteilseigners nach einer prestigeträchtigen Ladesäule vor dem Rathaus. Diese erste Epoche ist überwunden: Städte und Kommunen sehen in der Elektromobilität einen wichtigen Baustein für die Erfüllung ihrer Luftreinhaltungspläne und schreiben mittlerweile hunderte von öffentlichen Ladepunkten mit hohen Fördersummen aus. Daraus ergeben sich vor allem für regional verankerte Energieversorger, die oftmals kommunale Anteilseigner haben, Chancen ein öffentliches Ladeinfrastrukturnetz aufzubauen und mittelfristig auch wirtschaftlich zu betreiben. Zugleich bietet dies einen ersten Anknüpfungspunkt zwischen regionalem Versorger und der Generation‑E.
Die Generation‑E verlangt aber ganzheitliche Lösungen, innovative Ideen und Produkte. Anbieter sind gefordert als komplette Lösungsanbieter zu fungieren, welche die Bedürfnisse des neuen Kundensegments vollumfänglich abdecken. Die meisten Energieversorger und auch Automobilhersteller haben mittlerweile ähnliche Einstiegsangebote für ihre Privatkunden zu bieten. Dazu zählen klassischerweise Ladedienste für den öffentlichen Raum, Wallboxen für die heimische Garage oder zugehörige Ladestromtarife. Die Bedürfnisse werden dadurch nur zum Teil befriedigt. Ziel sollte die Verbindung der Elektromobilitätsangebote mit anderen, neuen, teils digitalen Angeboten sein um den Kunden der Generation‑E zu gewinnen und langfristig zu halten.
Vermarktung und Wettbewerber
Die klassische Vermarktung auf der eigenen Website, über Flyer und Anzeigen in der lokalen Zeitung spricht die Generation‑E nicht dort an, wo sie sich üblicherweise aufhält. In der Folge besteht die Gefahr, dass mit dem regionalen Versorger kein kompetenter Lösungsanbieter im Bereich Elektromobilität assoziiert wird oder andere Anbieter das Relevant Set des Kunden besetzen. Die sogenannte “Customer Journey” der neuen Zielgruppe beginnt meist online, beispielsweise über Videos, FAQ und Informationsportale, die einen umfassenden Überblick rund um das Thema Elektromobilität liefern. Ist das Interesse geweckt, möchten Interessenten sich vor Ort über verschiedene Konzepte, wie z.B. das Laden und die zugehörige Steuerung per App informieren und die Produkte wie Wallboxen anfassen. In diesem Feld agieren aktuell eher Händler oder Fahrzeughersteller mit ihren „Flagship-Stores“, teils auf den Prestige-Straßen in deutschen Großstädten: Dort werden das Fahrzeug und Zusatzangebote wie Wallboxen, Mobilitäts- und Energieangebote anfassbar und erlebbar gemacht.
Der richtige Marketing-Mix von Energieversorgern für die Generation‑E
Bei Betrachtung der zuvor genannten Herausforderungen für Energieversorger mit gleichzeitigem Blick auf die Bedürfnisse der neuen Zielgruppe wird klar, dass die Vermarktung eines (E-)Mobilitätsangebotes auch für regionale Versorger oder Stadtwerke heute nicht mehr mit verhältnismäßig einfacher Anzeigenschaltung oder Out of Home-Plakatwerbung abbildbar ist. Wer ernsthafte Absichten im Geschäftsfeld Elektromobilität hat, sollte bereits zu Beginn der Customer Journey sichtbar sein und die Beteiligung am Dialog mit der Zielgruppe steigern.
Dabei muss das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass die Generation‑E vor allem online auf verschiedenen Plattformen aktiv ist:

Mögliche Maßnahmen zur Reaktion auf die genannten Kundenbedürfnisse lassen sich aus dem Content Marketing ableiten. Ein geeigneter Mix ergibt sich durch Online-Angebote in Verbindung mit stationären Maßnahmen (z. B. Beratung in einem regionalen Beratungscenter, nicht zwingend dem eigenen). Dabei können digitale Informations- und Beratungsplattformen rund um die Generation‑E eine gute Möglichkeit sein, um Angebote zu positionieren. In der verhältnismäßig komplexen Welt der Elektromobilität ist die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern zwingend notwendig: Zu den wichtigen Multiplikatoren zählen Autohändler, Elektroinstallateure, Mobilitätsdienstleister oder auch Verkehrsbetriebe. Die Verbreitung des Portfolios über Vergleichsbörsen, soziale Medien, Blogs oder auch Communities und Clubs, in denen sich die Generation‑E aufhält, steigert den Erfolg ihrer Maßnahmen.
Die Voraussetzung für den Erfolg ist eine klare Gesamtstrategie für die neue Zielgruppe im Geschäftsfeld Elektromobilität. Dazu zählen neben den passenden Angeboten auch die Wahl der richtigen Kanäle und Partnerschaften. Hierbei muss das “alte” Bild des Haushaltskunden überdacht und auf die neue Welt des mobilen, digitalen, umweltbewussten Kunden übertragen werden.
Unser Praxis-Tipp: Beginnen Sie damit, den Blick auf die Generation‑E mithilfe der Persona-Methode zu erlangen und ein besseres Verständnis für die neue Zielgruppe zu entwickeln. Die unbestimmte Masse Ihrer potenziellen Kunden wird durch Personas greifbar gemacht und ermöglicht es allen Beteiligten, die Anforderungen der Nutzer in den Fokus der Überlegungen zu stellen. Die gewonnen Erkenntnisse lassen sich mit Informationen über Interessenten und deren Konsumverhalten für Elektromobilitätsangebote schärfen. Daraus lassen sich die richtigen Kanäle, Produkte, Partnerschaften und Maßnahmen ableiten.
Über die Autoren:

Simon Knittler ist seit 2017 Unternehmensberater und Projektleiter bei der con|energy unternehmensberatung gmbh. Zuvor war er für die RheinEnergie AG tätig und dort unter anderem für den Aufbau einer regionalen Ladeinfrastruktur verantwortlich. Herr Knittler ist Experte für Strategien und Umsetzungskonzepte in den Bereichen Vertrieb, Geschäftsfeld- /Produktentwicklung sowie Elektromobilität für Energieversorger.

Sebastian Crusius ist Co-Founder von Global Electric Club. Seine Kompetenzen liegen im Aufbau neuer Organisationseinheiten, Partnerschaften und Positionierungs- und Vermarktungsstrategien im Themenfeld Elektromobilität. www.global-electric.club unterstützt Unternehmen aus dem Bereich Energie, Automobil und Mobilitätsdienstleistungen in den Themenfeldern Research, Positionierung, Kundengewinnung, Kundenbindung und Kundenloyalität.