Mehr und mehr prägen technologische Entwicklungen wie künstliche Intelligenz, Internet of Things oder Augmented Reality das Umfeld von Energieversorgern. Für damit verbundene Anwendungen wird ein schnelles und leistungsfähiges Internet benötigt. Für Stadtwerke, die vor Ort Infrastrukturbetreiber sind und sehr guten Kundenzugang haben eine schöne Möglichkeit, eine Stadt auch mit Glasfaser zu versorgen und Rückgänge im Strom- und Gasvertrieb zu kompensieren.
Dr. Heike Hahn, Geschäftsleitung, con|energy unternehmensberatung &
Dr. Martin Fornefeld, Vorsitzender der Geschäftsführung/Geschäfts-führender Gesellschafter, MICUS Strategieberatung
Schon seit Jahren sind Stadtwerke auf der Suche nach zukunftsweisenden Geschäftsfeldern, um den immer weniger auskömmlichen Vertrieb von Strom und Gas zu kompensieren. Als Folge haben die meisten Anbieter einen Wandel vom Energieversorgungsunternehmen hin zum Energiedienstleistungsunternehmen vollzogen und damit begonnen, sich mehr oder weniger digital aufzustellen: Prozesse wurden automatisiert und Kundenkontaktkanäle online geschaffen, erste digitale Geschäftsmodelle („Plattformen“) in den Markt gebracht. Nicht nur bei den Energieversorgern selbst, sondern auch bei ihren Kunden nimmt der Bedarf an entsprechenden Übertragungsgeschwindigkeiten für immer größere Datenmengen zu. Beispielsweise für Augmented Reality-Anwendungen zur Wartung von Geräten und Anlagen oder zur Visualisierung von komplexen Produkten in 3 D‑Modellen der Objekte. Oder für Roboter, die Ärzte bei OPs unterstützen oder Videogames, in denen Studierende OPs erstmal üben können.
Beispiel 1: hildenMedia: Ein Stadtwerk macht Glasfaser
Aufbau flächendeckender Glasfaserversorgung
Für Hans-Ullrich Schneider, Geschäftsführer der Stadtwerke Hilden, gehört daher das schnelle Internet genauso zur Daseinsvorsorge wie Strom, Gas und auch Wasser. Schon im Jahr 2002 hatte der Aufsichtsrat den Beschluss gefasst, einen so genannten „Backbone“ durch die Stadt zu bauen. Dieses Rückgrat einer flächendeckenden Glasfaserabdeckung war die vorausschauende Investition in die Lebens- und Arbeitswelt, die wir heute und in Zukunft noch mehr vorfinden. „Das sind wir den Unternehmen, Immobilienbesitzern und Bürgern schuldig“, so Schneider. Darüber hinaus wusste Schneider schon früh, dass Glasfaser die Basis ist, um die Stadtwerke eigene Infrastruktur auf eine intelligentere Ebene zu hieven: Trafo-Stationen, Verteilerkästen, Smart Meter – auch die Zukunft des Energievertriebs ist digital und erfordert smarte Systeme und schnelle Datenleitungen.
Mit System zu hildenMedia
Im Jahr 2016 war es dann soweit: Das Vorhaben erhielt mit dem ‘Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende’ neuen Antrieb. Stadt und Stadtwerke waren entschlossen, ihre Zukunft auf nichts anderem zu bauen als auf Glasfaser: „Wenn wir eins können, dann können wir Netze. Wir sind also prädestiniert dazu, die Stadt mit Glasfaser zu versorgen“, argumentierte Schneider. Um sich in dem dennoch unbekannten Terrain sicher zu bewegen nahm der Geschäftsführer ein Beratungshaus in Anspruch, deren Kernkompetenz darin besteht, Glasfaserprojekte zu realisieren. Deren tiefe Marktkenntnis zu Preisen und Playern, Hürden und Herangehensweise ergänzte das Know-how des Stadtwerks perfekt. Gemeinsam wurde ein Projektplan entwickelt, der schon im Januar 2018 erste Gewerbetreibende zu Pilotkunden werden ließ. Mit hildenMedia ist ein durchgerechnetes und tragfähiges Produktpaket für digitale Telefonie und Internet entstanden. Noch vor Ostern konnten die Stadtwerke Hilden im ersten Bauabschnitt zuverlässiges, ultraschnelles, stabiles Breitbandinternet anbieten – nach nur 19 Monaten Vorbereitung.
Kein bisschen Zufall
Heute versetzt die durchdachte Herangehensweise die Stadtwerke in eine komfortable Situation: Sie sind die ersten Anbieter von Highspeed-Internet-Produkten in der nordrhein-westfälischen Gemeinde mit rund 55.000 Einwohnern. Schneider erklärt das Vorgehen: „Schritt eins war für uns dabei die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Auch wir als Stadtwerke müssen natürlich Gewinne machen, aber wir denken langfristig und bürgernah – wir sehen unsere Kunden Tag für Tag und wollen ihnen ins Gesicht schauen können“. Die Analyse bestätigte die Wirtschaftlichkeit des Ausbaus in vier Gewerbegebieten, worauf der Aufsichtsrat im November 2016 den Beschluss fasste, das Projekt hildenMedia in die Tat umzusetzen.
Punktsieg für Marktkenntnis
Nun hieß es, das Geschäftsmodell final festzuzurren. Voraussetzung für Schneider und das Stadtwerk: ohne Förderungen auskommen. Alles sollte aus eigenen Mitteln finanziert werden, um bei der Vermarktung frei agieren zu können. Im ersten Schritt wurden Ausschreibungen für den Betrieb und die Vermarktung des Glasfasernetzes aufgesetzt. „Wir haben uns mit Hilfe der Beratung durch die Ausschreibungen gearbeitet und heute sehr gute, zum Teil lokal ansässige Anbieter für den Vertrieb unserer Produkte gefunden“, so Schneider. Parallel mussten Anträge bei der Bundesnetzagentur gestellt werden, die die Stadtwerke als TK-Anbieter legitimieren musste. Die Feinplanung für den Tiefbau lief und der Rollout der Marketingkampagne nahm Gestalt an. Mitte Juni 2017 begannen die Vermarkter mit dem Vorvertrieb der ausgearbeiteten hildenMedia-Produkte in den Segmenten Internet und Telefonie in den Gewerbegebieten für Gewerbe- und Privatkunden. Dabei bewahrheitete sich die zugrunde gelegte Annahme, dass rund 40 Prozent der Kunden zu hildenMedia wechseln würden. Die nächste Hürde zum Gigabit-Netz Hilden war genommen und die Ausschreibungsphase für den Bau begann.
Gut aufgestellt
Die Vorvermarktung im Sommer 2017 wurde gezielt mit lokalen Marketingmaßnahmen durchgeführt, um den Wettbewerb nicht aufzuschrecken. Der Wettbewerb wurde erst dann aufmerksam, als im Januar 2018 erste Pilotkunden angebunden werden sollten. „Aber keine Sekunde früher. Wir hatten alles ausgearbeitet, die Produkte standen, die Preise waren kalkuliert, der Vorvertrieb gelaufen, die Ausschreibungen entschieden, die Bagger bestellt“, sagte Schneider. Als dann der Wettbewerb auf den Plan trat, war Schneider vorbereitet. „Wir nehmen die Konkurrenz ernst, aber wir brauchen uns nicht vor ihr zu verstecken – denn wir haben die Nase vorn.“ Hilden wird schon bald in einem Highspeed-Internet surfen. Nachdem die vier Gewerbegebiete mit Fiber-to-the-Home (FTTH), also dem Verlegen von Glasfasern bis in die Wohnung bzw. die Büroräume des Kunden, angeschlossen sein werden, wird aufgrund des anhaltenden Interesses bei Unternehmen und Bürgern das Stadtgebiet sukzessive ausgebaut.
Beispiel 2: Hertener Stadtwerke – Vermarktung der Glasfaser
Bereits hoher Versorgungsgrad
Die Hertener Stadtwerke GmbH planten, mit Beraterunterstützung eine Strategie zur Vermarktung des Glasfasernetzes zu entwickeln. Ziel war, das bereits bestehende Leerrohr- und Glasfasernetz der Hertener Stadtwerke sinnvoll in den Breitbandausbau zu integrieren und zu untersuchen, welche Bereiche im Stadtgebiet über das Netz erschlossen werden können und welche Möglichkeiten der Vermarktung bestehen.
Die Versorgungsanalyse hat gezeigt, dass das Stadtgebiet von Herten bereits zu 93 % mit Bandbreiten über 50 Mbit/s versorgt ist — was dem Ziel der Bundesregierung, diese Geschwindigkeit bis 2018 flächendeckend anzubieten, bereits sehr nahe kommt. Die Unterversorgung liegt vor allem im Norden und Süden des Stadtgebietes sowie in den Randbereichen der Stadtteile.
Die bestehenden Leerrohr- und Glasfaserinfrastrukturen der Hertener Stadtwerke bieten sehr gute Voraussetzungen für den Netzausbau. In fast allen Ausbauclustern sowie in der Entwicklungsfläche „Zeche Ewald“ lassen sich durch eine Mitnutzung bestehender Netzinfrastrukturen Einsparungen bei Tiefbau und Material vornehmen, wodurch sich die Ausbaukosten erheblich reduzieren.
Erschließung unterversorgter Gebiete
Die Zielsetzung, die unterversorgten Gebiete zu erschließen, wurde einerseits durch die Entwicklung eines Fibre-to-the-Building-Konzeptes (FTTB) umgesetzt – also durch das Verlegen von Glasfasern bis in das Gebäude des Kunden. Zum anderen durch die Planung einer konsequenten, zielgerichteten Weiterentwicklung des bestehenden Trassennetzes. Des Weiteren wurde ein FTTB-Konzept für die neuen Erschließungsgebiete „Comeniussiedlung“ und „Zeche Ewald“ entwickelt. Eine wesentliche Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf die Vermarktung, kam hierbei der Einbindung von Smart-Meter-Gateways im Sinne der Anforderungen des Messstellenbetriebsgesetzes (MsbG) zu. Bei Einbindung der Smart-Meter-Gateways über Glasfaserkabel – was entsprechend der gesetzlichen Vorgaben möglich ist – kann der Betreiber dem Kunden weitere Dienste anbieten oder Glasfasern, die nicht für das Auslesen der intelligenten Zähler genutzt werden, vermarkten.
Positives Ergebnis – auch ohne Fördermittel
Auf Grundlage der Netzplanung wurden die Investitionskosten ermittelt und Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen durchgeführt. Alle Ausbauprojekte erzielen ohne den Einsatz von Fördermitteln ein positives Ergebnis innerhalb der vorgegebenen Abschreibungszeiträume.
Einheitliches Vertragswerk regelt Verpachtung der Infrastruktur
Des Weiteren erfolgte eine Entwicklung von Grundsätzen, die den Umgang mit bestehenden und zukünftigen Glasfaser- und Leerrohrkapazitäten der Hertener Stadtwerke und deren Vermarktung beschreiben. Auf Basis dieser Grundsätze ist für die Hertener Stadtwerke ein neues einheitliches Vertragswerk entstanden, welches genutzt wird, um weitere Infrastrukturen zu verpachten. Das Vertragswerk besteht aus einem Rahmenvertrag und drei Leistungsverträgen (Dark Fiber, Geschäfts – und Haushaltskunden).
Herten setzt auf reinen Infrastrukturbetrieb
Für die Vermarktung des Glasfasernetzes im Stadtgebiet Herten wird für das Stadtwerk das Modell des reinen Infrastrukturanbieters umgesetzt, d.h. die Netze werden verpachtet, Betrieb und Providing werden von einem Telekommunikationsunternehmen durchgeführt.
Nur zwei von vielen erfolgreichen Projekten
Beide Beispiele sind Projekte der micus Strategieberatung, welche Partner der con|energy unternehmensberatung beim Thema „Breitband“ ist. Während micus sich auf die Versorgungsanalyse des Breitbandausbaus sowie die Definition passender Dienstleistungsprodukte fokussiert ist con|energy stärker gefordert, wenn es um die Etablierung von Breitband in die vorhandenen Unternehmensstrukturen geht, z. B. durch Hebung von Synergien oder der Überprüfung, Ergänzung und Verknüpfung mit den energiewirtschaftlichen Bestandsprodukten. Gemeinsam stellen die Partner Strategiekonformität sicher, passen die Aktivitäten in die MSBG-Strategie ein und unterstützen die Kommunikation intern und extern, z. B. mit Stakeholdern.