Die Branche diskutiert mit Hochdruck über neue Geschäftsfelder und eine zukunftssichere Positionierung. Im Fokus stehen hierbei ganzheitliche Energiekonzepte, die eingebettet in Themen wie Smart Home und Smart Energy zahlreiche Aspekte von Bau und Betrieb über Optimierung und Vermarktung vereinen. Das Commodity-Geschäft als klassisches Kerngeschäft der Stadtwerke wird weiterhin das Fundament der Wertschöpfung bilden, allerdings mit deutlich abnehmender Bedeutung. Um nachhaltig und wettbewerbsfähig agieren zu können, müssen sich Stadtwerke und auch Dienstleister auf die neuen Rahmenbedingungen für das „alte“ Geschäft einstellen.
Der Veränderungsdruck auf die Energiewirtschaft hat sich massiv erhöht und es sind viele große Schritte erforderlich, um als Stadtwerk auch in der Zukunft erfolgreich zu bestehen. Denn die Energiewende verändert die Kunden und damit die Produkte und Dienstleistungen, mit denen diese erreicht werden können. Dabei wächst die Anzahl der Kunden, die sich durch Eigenerzeugung vom Consumer zum Prosumer entwickeln. Durch die sinkenden Investitionskosten, die steigende wirtschaftliche Attraktivität des Eigenverbrauchs sowie das zunehmende Umweltbewusstsein und Autarkiebestreben gewinnen dezentrale Erzeugungslösungen, Gebäudesanierung und mehr Intelligenz in Netzen und Gebäuden weiter an Bedeutung. Dies erfordert ein Umdenken und Umlenken bei den Stadtwerken: mehr Themen, gleichzeitig noch viele offene Fragen und – im Gegensatz zu den dynamischen Veränderungen in den Anfängen der Energiemarktliberalisierung – auch keine schnellen positiven Rückflüsse beziehungsweise Erträge aus den Investments. Durchhaltevermögen, neue Kompetenzen und neue Allianzen sind mehr denn je gefragt.
„Stadtwerk von Morgen“
Die Branche diskutiert mit Hochdruck über Erfordernisse und Möglichkeiten neuer Geschäftsfelder. Der Handlungsbedarf wurde erkannt und entfaltet bei vielen bereits seine Wirkung. Immer mehr Stadtwerke beschäftigen sich sehr aktiv mit der Entwicklung konkreter Lösungen und versuchen sich in dem veränderten Marktumfeld neu zu positionieren (vgl. Abb. 1 ). Im Kern stehen Themen wie ganzheitliche Energiekonzepte, Energieeffizienz sowie die Smart Themen: Smart Home und Smart Energy. Das Stadtwerk definiert sich dabei als zentraler Ansprechpartner für alle Themen rund um Energie. Das Geschäft wird kleinteiliger und technischer als bisher. Auch wird eine verstärkte Zusammenarbeit mit Partnern erforderlich sein, um das breite Leistungsspektrum abdecken zu können.

Kerngeschäftsfelder bleiben Fundament
Das heutige Stadtwerke-Kerngeschäft, das Commodity-Geschäft, wird in Zukunft weiterhin ein wesentlicher Bestandteil der Wertschöpfung bleiben, jedoch insgesamt in seiner Bedeutung zurückgehen. In typischen Visionen der zukünftigen Stadtwerkewelt bildet das klassische Commodity-Geschäft weiterhin das Leistungsfundament und wichtige Geschäftsbasis. Das neue Haus für das „Stadtwerk von Morgen“ braucht ein kräftiges Fundament, auf dem die neuen Säulen ruhen (Abb. 2 ).

Die Entwicklung neuer Themen und Geschäftsfelder erfordert ausreichende Ressourcen. Und das in einer Phase, wo große Teile der klassischen Wertschöpfungskette stark unter Druck stehen. Mit Ausnahme der stetig erodierenden Grundversorgung wird es zunehmend schwieriger, positive Vertriebsmargen zu erzielen. Bei dieser angespannten Situation kann der zusätzliche Ressourcenbedarf für die Entwicklung und den Aufbau neuer Geschäftsfelder im Wesentlichen über eine Ressourcenumverteilung erfolgen. Konkret bedeutet dies, dass Projekt‑, IT- und Personalbudgets aus den klassischen Kerngeschäftsfeldern (insbesondere aus Vertrieb und Beschaffung) abgezogen werden, um die neuen Themen voranzutreiben Als Folge fehlen wichtige Ressourcen für die (Weiter-) Entwicklung und den weiteren Betrieb des Kerngeschäfts. Bei diesem zunehmenden Effizienzdruck als Folge aus einerseits weiterhin rückläufigen Margen und andererseits Abziehen von Ressourcen sind die bestehenden Aufgaben und Prozesse neu zu justieren.
Dies erfordert, dass vermehrt operative Prozesse an Dienstleister ausgelagert werden müssen. Heute praktizieren das viele Stadtwerke bereits bei Logistikprozessen wie beim Bilanzkreismanagement. Eine Ausweitung auf weitere Bereiche, zum Beispiel Portfoliomanagement-Funktionen, ist zu erwarten. Beschaffungsabteilungen werden damit tendenziell eher zurückgebaut und die Zusammenarbeit mit Dienstleistern intensiviert. Für die heutige Beschaffungspraxisbedeutet dies eine radikale Trendumkehr. Denn in den vergangenen Jahren war in der Beschaffungspositionierung eine deutliche Bewegung zur vermehrten Eigenständigkeit zu beobachten, die aktuell anhält. Aber trotz der Anstrengungen, die Stadtwerke für die Realisierung von teil oder vollstrukturierten Beschaffungsmodellen unternommen haben, ist zukünftig eine Rückkehr zu einfacheren Modellen mit einer geringeren Wertschöpfungstiefe bei den Stadtwerken zu erwarten. Hierbei wird im Allgemeinen die Entscheidungsfreiheit über Kaufzeitpunkte bei den Stadtwerken verbleiben, die ressourcenintensiveren Prozessschritte werden durch Dienstleister erfüllt. In der Konsequenz werden Vollversorgungs- und Residualliefermodelle über eine Belieferung im Subbilanzkonto eine Renaissance erleben. Das Vertriebsportfolio im Tarifkundensegment wird sich auf wenige Produkte konzentrieren. Zum Standardproduktumfang zählen ein Onlineprodukt, ein Spar- sowie Basic-Tarif sowie die Grundversorgung. Die Produkte sind so ausgestaltet, dass sie mit wenig Aufwand und standardisierten Vertriebs- und Marketingaktivitäten umgesetzt werden können. Die bis heute anhaltende Trennung der Commodities Strom und Gas wird zukünftig in dieser Form nicht mehr weiterbestehen können. Ganzheitliche Energiekonzepte und eine zunehmende Dezentralität der Erzeugung erfordern eine intensivere gemeinsame Steuerung und Abwicklung von Strom und Gas.
Auswirkungen auf Dienstleister
Auch die Stadtwerke-Dienstleister sind stark von den Marktveränderungen betroffen Sie müssen ihr Produkt- und Dienstleistungsportfolio so anpassen, dass die bestmögliche Unterstützung für die veränderten Bedürfnisse der Stadtwerke erfolgt. Das bedeutet, dass über die klassischen Themen hinaus (Abrechnung, Bilanzkreisführung, Datenmanagement, etc.) weitere Dienstleistungen angeboten werden. Zum Beispiel wird das Thema IT in Zukunft verstärkt zu einer Herausforderung werden. Bei den Stadtwerken werden keine Budgets für neue, vollintegrierte Systeme zur Verfügung stehen. Das beflügelt die Nachfrage nach kleinen IT-Lösungen beziehungsweise Cloud- oder Mietlösungen für die wesentlichen Funktionen rund um Angebotskalkulation, Bepreisung und Portfoliomanagement als Ergänzung zu den „klassischen Dienstleistungen“ (z. B. IT-Unterstützung im Rahmen von „Software-as-a-Service “).
Weitere Dienstleistungspotenziale entstehen um die neuen Geschäftsfeldern herum. Zum Beispiel wird ein kleines oder mittelgroßes Stadtwerk seinen Kunden ganzheitliche Energiekonzepte samt Optimierung und Vermarktung anbieten, aber operativ nur begrenzt in der Lage sein, die dazu benötigten Abwicklungsprozesse eigenständig durchzuführen. Die Entwicklung und das Angebot von Dienstleistungen für das dezentrale Portfoliomanagement können einen weiteren Ansatzpunkt bilden, denn viele Stadtwerke sind schlichtweg überfordert mit den neuen Herausforderungen, die dezentrale Portfolien mit sich bringen. Der zunehmende Einsatz erneuerbarer Energien in Eigenerzeugungsanlagen verändert massiv die Bedingungen für das Portfoliomanagement. Insbesondere erfordert es neue Lösungen für die Bewertung, Optimierung und Steuerung der Portfolien und erhöht die Anforderungen an Geschäftsprozesse sowie an Transfer und Verarbeitung von Daten. Die neuen Herausforderungen liegen u.a. darin, dezentrale Anlagen technisch und kommerziell in das Portfolio zu integrieren, laufend zu monitoren, zu optimieren und zu steuern.
Fazit
Die Entwicklungen im Energiemarkt erfordern von den Stadtwerken einen ganzbesonderen Spagat: Neue Geschäftsfelder entwickeln und gleichzeitig das „alte“ Commodity-Geschäft als wichtiges Fundament stärken. Die wenigsten Stadtwerke werden beides aus eigener Kraft sinnvoll stemmen können. In der Konsequenz muss das klassische Brot-und-Butter-Geschäft mit weniger Projekt‑, IT- und Personalbudgets auskommen; und das bei gleichzeitig steigenden Anforderungen. Dies wird sich auf die Beschaffungs- und Vertriebsprozesse auswirken und die Fertigungstiefe der Stadtwerke nachhaltig reduzieren. Hierauf müssen sich auch die Dienstleister adäquat einstellen. Insbesondere schmalere IT-Lösungen – durchaus auch als Cloud- oder Mietlösungen – werden zukünftig von den Stadtwerken forcierter nachgefragt. Verstärkter Dienstleistungsbedarf entsteht auch für Prozesse, die in der heutigen Geschäftsprozessmodellierung in der Regel außerhalb von Outsourcing-Überlegungen stehen, wie das Pricing. Die ganzheitliche Prozessunterstützung rückt zukünftig stärker in den Vordergrund.
Erschienen bei energate, e|m|w Ausgabe 2|15.